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Der Beginn ...


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Warum meine Reise nicht an einem schönen Ort und auch nicht auf einem Jakobsweg, sondern an einem Grabstein im Bayerischen Wald begann?


Es ist eine merkwürdige Art, eine Pilgerreise zu beginnen. Normalerweise steht man vor einer imposanten Kathedrale, schaut auf eine Karte oder tritt in der Morgendämmerung die ersten Schritte auf einem alten Weg an. Mein Jakobsweg begann anders. Er begann in völliger Stille und nicht einmal an oder auf dem Jakobsweg. Er begann an einem Ort, der für einige Menschen das Ende der Welt, für die meisten Menschen aber das Ende des irdischen Daseins darstellt, auf dem Friedhof meiner Heimatgemeinde in Hinterschmiding.


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Der Bayerische Wald, mein "Dahoam“, ist für viele Menschen ein Ort der Entspannung, ein stilles Naturidyll. Für mich war er immer beides: Heimat und Gefängnis. Eine Landschaft, die ich im Herzen trage und die mich gleichzeitig so lange in ihrer sanften Enge gefangen hielt, dass es mich hinaus in die Welt trieb. Ich bin ein „Weltbürger wider Willen“, wie ich mich oft scherzhaft selbst nenne. Ich habe die Ferne, die Freiheit und das Abenteuer gesucht, habe Vieles gefunden und doch nie ganz erreicht, denn ein Teil von mir blieb immer hier, in dieser Landschaft aus dunklen Wäldern, sanften Hügeln und tiefen Tälern aus der mein Körper für dieses Leben entstand.


An diesem Morgen im April 2021 spürte ich diese Dualität so stark wie nie zuvor. Ich stand bzw. kniete vor dem Grabstein meiner Ahnen, vor den Namen, zwei dieser Seelen liegen mir besonders am Herzen meine Oma und mein Opa deren Geschichte ich gut kenne, die Geschichte der anderen kenne ich nur in Bruchstücken oder aus Erzählungen. Die Luft war kühl es roch nach Frühling, nach feuchter Erde und Moos. Ein tiefes Gefühl der Endlichkeit umhüllte mich, eine Stille, die lauter war als jeder Lärm der Welt. Und in dieser Stille wurde mir klar, dass ich mich die ganze Zeit geirrt hatte. Ich war nicht auf der Suche nach einem neuen Anfang oder einem fernen Ort. Ich war auf der Suche nach mir selbst, und der einzige Weg dorthin führte durch die Vergangenheit. Denn die Geschichte beschreibt die Zukunft wurde mir von einem meiner Lehrer erklärt.


Die Welt da draußen verlangt von uns, dass wir uns ständig bewegen, dass wir produktiver, schneller, besser werden. Sie schreit uns zu: „Lauf, sei pünktlich, leiste mehr, denke an deinen Wert!“ Doch mein innerer Kompass zeigte in eine andere Richtung. Er zeigte auf meine Wurzeln, die so tief in der Erde stecken, dass man sie nicht sehen kann. Und so wurde dieser Friedhof, dieser Ort des Gedenkens, zu meinem Startpunkt. Nicht als Ort des Abschieds, sondern als Portal der Ankunft.


Ich fragte mich an diesem Tag, was das Vermächtnis meiner Vorfahren ist. Nicht in materieller Hinsicht, sondern in einer tieferen, existenziellen Ebene. Was haben sie mir mit auf den Weg gegeben? Es war keine Anweisung, keine Landkarte. Es war ein tiefes, fast unbewusstes Gefühl von Heimat. Ein Gefühl, das mich ein Leben lang begleitet und geprägt hat, selbst wenn ich es oft verleugnete.


Dieses Gefühl ist die Essenz von „I bin vom Woid dahoam“ – es ist das unverrückbare Wissen, wer man ist, auch wenn man nicht mehr weiss, wo man hingehört. Von diesem Grabstein aus trat ich meine erste Etappe an, die physisch von der Heimat wegführte, aber emotional sehr tief in sie hinein. Es waren die vertrauten Wege, die mich herausforderten, denn es gab keine neuen Eindrücke, die mich von der inneren Arbeit ablenken konnten. Jeder Baum, jeder Bachlauf, jede Lichtung trug Erinnerungen. Ich wanderte vorbei an Orten aus meiner Kindheit, durch Rumpenstadl zu meinem Omilein, dann entlang der Ilz. Jeder Schritt war eine Auseinandersetzung mit der Dualität meines Seins, der innigen Liebe zu dieser Landschaft, zu den Menschen und der latenten Unruhe, die mich einst fortzog.


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Die ersten Tage waren geprägt von Stille und einer fast schmerzhaften Ehrlichkeit. Ich musste mich den unausgesprochenen Geschichten, den Ambivalenzen meiner Familie und der Enge, die ich einst empfand, stellen. Ich stellte fest, dass die grössten Prüfungen während des Pilgerns oft nicht die Berge oder die Blasen an den Füssen sind, sondern die Auseinandersetzung mit sich selbst. Die Heimat, die ich so oft im Herzen verliess, wurde nun zu meinem grossen Lehrmeister. Sie zwang mich, meine Vergangenheit anzunehmen, meine eigenen Widersprüche zu umarmen und mir selbst zu verzeihen.


Der Camino nach Santiago war in dieser Hinsicht nur ein Spiegel, der die innere Reise, die in Hinterschmiding begann, reflektierte. Er war ein Weg, der mich nicht zu einem Ziel, sondern immer wieder zu den Fragen führte, die ich an den Gräbern meiner Ahnen gestellt hatte:


Wer bin ich? Bin ich gut genug? Was ist mein Wert? Und wo ist meine Heimat? Und wenn sie nicht an einen Ort gebunden ist?


Mein Herzensplatz zwischen den Ahnenwelten
Mein Herzensplatz zwischen den Ahnenwelten

In dieser Zeit, als die Welt im Chaos einer Pandemie versank und mich mit unerwarteten Hindernissen konfrontierte, verstand ich die zeitlose Botschaft Ihrer „müden und beladenen“ Worte, die ich im Blog beschrieb. Hans' Geschichte ist im Grunde auch meine.



Auch ich hatte in gewisser Weise alles verloren:


die Illusion der Kontrolle, die Bequemlichkeit der Routine und die Gewissheit, das die Welt so funktionierte, wie ich es mir dachte. Und doch war da eine Ruhe, die aus meinem Inneren kam. Sie kam von der Akzeptanz meiner eigenen Verletzlichkeit, von der Erkenntnis, dass meine Würde nicht an Leistung oder materiellen Erfolg geknüpft ist.


Die wahre Pilgerreise war nicht der Weg nach Santiago, sondern der Weg zurück zu den Wurzeln. Der Weg, der in einer Stille begann, die nur die Wälder des Bayerischen Waldes schenken können. Ein Weg, der mir beibrachte, dass die wahre Ankunft in mir selbst liegt.

Das war mein erster Schritt. Ein Schritt, den man nicht auf einer Landkarte findet, aber der entscheidend ist, um den Kompass zu finden, den man oft so verzweifelt sucht. Das ist die Geschichte, die ich in meinem Buch erzähle. Es ist die Geschichte von einem Mann, der auszog, um die Welt zu entdecken und am Ende fand, dass seine Welt tief in ihm selbst verborgen lag.


Eine Reise, beginnt selten auf einer Landkarte, sie beginnt mit dem ersten Schritt und einem einzigen, ok, von mir aus, auch mutigem Atemzug. In jedem Fall aber in dem Moment, in dem du die Zukunft tief inhalierst und die Vergangenheit – wenn auch mit all ihrer Last und ihren Lektionen – mit den Schritten deines Herzens in Liebe loslässt.


Diese Geschichten, die ich ab jetzt jede Woche mit dir teile, sind Erinnerungen daran, dass der erste Schritt zur Veränderung immer nur der nächste sein muss. Es geht nicht darum, wo und unter welchen Umständen wir starten, sondern darum, mit welcher Liebe und welcher Achtsamkeit wir weitergehen.


Möge dein Leben dir jeden Tag einen solchen Augenblick schenken, in dem du spürst, dass du nicht nur gut genug bist, sondern auch stark genug, um jeden Weg zu gehen, der vor dir liegt.


Herzlich Harald 🙏👣🎈🙏


Buch "I bin vom Woid dahoam"
CHF 39.99
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2 Kommentare

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renate59
vor einem Tag
Mit 5 von 5 Sternen bewertet.

Ich wünsche dir sehr viel Erfolg mit diesem außergewöhnlich gut geschriebenem Buch.

Und den weiteren Lesern viel Spass beim Lesen. Ich persönlich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen.

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terrazkunst
vor 2 Tagen

Da freue ich mich doch sehr weitere Schritte von dir zu dir zu lesen..

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